Unter dem Titel „Vergessene“ Geschichte – Berufsverbote – Politische Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland war vom 01. bis zum 12. April eine Ausstellung im Foyer der Herderschule zu besichtigen, die sich mit der Vorgeschichte und den Folgen des sog. Radikalenerlasses vom 28. Januar 1972 beschäftigte. Eröffnet wurde die Ausstellung am 03. April mit einer Veranstaltung im Lernstudio. Eine der Ausstellungsmacher/innen, Cornelia Booß-Ziegling, selbst vom Berufsverbot betroffen, hielt anhand von PowerPoint-Folien einen Einführungsvortrag, der den Bogen von der Verfolgung radikaler Demokraten im 19. Jahrhundert über den Faschismus bis eben zu dem genannten Radikalenerlass spannte. Im Anschluss stellten sich drei Betroffene aus Kassel vor: Silvia Gingold, die aufgrund ihrer Familiengeschichte sicherlich die prominenteste Betroffene ist, Wolfgang Artelt und Günther Waldeck. Obwohl drei der vier später eine Anstellung im öffentlichen Dienst als Lehrerinnen und Lehrer fanden, erfuhren und erfahren sie, nicht zuletzt an ihrer Altersversorgung, zahlreiche Nachteile. Zunächst wandte sich die lebhafte Diskussion den Ursachen zu. Sie wurde in der massenhaften Wende insbesondere von Jugendlichen, Studierenden und jungen Intellektuellen nach Links gesehen. Diese Wende basierte zum einen auf der sog. Bildungsexpansion und der damit einhergehenden Änderung im soziologischen Profil der Studierenden, zum anderen resultierte sie aus der Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg, der Nazizeit und ihrer Tabuisierung sowie mit den autoritären Deformationen der Demokratie in der „Adenauerrepublik“. Im Gefolge des Radikalenerlasses wurden etwa 3,5 Millionen Menschen überprüft, 25000 bis 35000 davon wurden den Einstellungsbehörden als „Verdachtsfälle“ gemeldet, ca. 8 % davon nicht eingestellt. 256 Beamte und Beamtinnen wurden entlassen. Es ging um die Einschüchterung und Abschreckung einer ganzen Generation – mit Folgen bis heute. Ende der 1970er Jahre wurde die Regelanfrage eingestellt, das Kapitel Berufsverbote ist damit aber noch nicht geschlossen. Da die „Informationen“, die gegen die „Verdächtigten“ in Stellung gebracht wurden, allesamt auf den Bespitzelungen der jeweiligen Landesämter für Verfassungsschutz beruhten, nahm die Diskussion über diesen Inlandsgeheimdienst breiten Raum ein. Während insbesondere die Gäste vehement für die Abschaffung des Verfassungsschutzes plädierten (mit Verweis auf die braunen Wurzeln des Amtes, seine Durchsetzung mit rechtsradikalen V-Leuten, die Rolle seines Ex-Präsidenten Maaßen, sein ‚Versagen‘ bei der Aufdeckung der NSU-Morde u.v.m.) und meinten, man müsse die Verfassung vor dieser Art „Verfassungsschutz“ schützen, sahen einige Schüler in der ersatzlosen Abschaffung des Amtes keine Alternative. Diese Frage blieb ungeklärt. Kein Widerspruch erfuhr hingegen der Appell an unser je eigenes Ich-Ideal: „Sei keine Duckmaus!“

Text: Dr. Rößer
Bilder: Schimmelpfennig