Pfarrer Dr. Willi Temme empfing uns, den Ethikkurs des Jahrganges 11 von Frau Rosenhahn-Ohlmeier, auf dem Platz neben der Kirche, dem Martinsplatz, und gab uns zunächst einen Überblick über die Geschichte des Gebäudes.

 

 

Die Schülerinnen und Schüler durften einmal schätzen, wie alt denn die Kirche sei? Die sehr zögerliche Antwort fiel ernüchternd aus: 70 Jahre? Der freundliche Pfarrer erklärte geduldig, dass die Kirche ab Mitte des 14. Jahrhunderts erbaut und 1462 geweiht wurde. Er gab nebenher noch eine geschichtliche Orientierungshilfe, die man sich leicht merken könne: Das Römische Reich dauerte ca. 1000 Jahre, von 500 v.Chr. bis 500 n.Chr. und das Mittelalter dauerte auch ca. 1000 Jahre, von 500 n.Chr. bis 1500 n.Chr.

 

In der Folge hinterließ jede Epoche ihre Spuren an dem Gebäude, bis die Kirche im Zweiten Weltkrieg, 1943, so schwer zerstört wurde, dass sie fast vollständig wieder aufgebaut werden musste. Erst aus der Zeit des Wiederaufbaus (1954-58) stammen die beiden modern anmutenden Glockentürme.

Im Inneren der Kirche waren viele Schülerinnen und Schüler nicht nur positiv überrascht von der Modernität: weiße, frisch renovierte Wände, die eine Schülerin „wie im Krankenhaus“ empfand und bequeme, gepolsterte Stühle in Reihen, die die alten Holzbänke ersetzt hatten. Die Renovierung der Kirche ist auch noch nicht abgeschlossen.

 

 

Dr. Temme zeigte uns die alte große Glocke, die in der Bombennacht (22.10.43) herabgefallen war, und die nun als Mahnmal hinten rechts in der Ecke zu besichtigen ist.

 

 

Nun kam Dr. Temme auf die neue Orgel zu sprechen, die gerade von der Firma Rieger Orgelbau gebaut wird, und zu Pfingsten 2017 fertiggestellt werden soll. Die ursprüngliche Orgel entstand 1610-12 und wurde nach größeren Umbauten im Jahre 1732 von keinem Geringeren als Johann Sebastian Bach abgenommen. An diesen erinnert auch eine Gedenktafel an der Südfassade. Nach der Zerstörung der Kirche 1943 wurde auch eine neue Orgel gebaut, diese wurde jedoch schon im letzten Jahr umgesetzt, um für das neue Großprojekt Platz zu machen: Die neue Orgel kostet 2,2 Mio Euro, sie wird die gesamte Breite der rückwärtigen Wand der Kirche einnehmen und mit ihren ca. 5000 Pfeifen das Volumen eines Einfamilienhauses haben. In Erwartung dieses göttlichen Klangerlebnisses konnte man ein Leuchten in den Augen Dr. Temmes erkennen. Konzerte und andere kulturelle Ereignisse, auch in Zusammenarbeit mit dem Staatstheater, gehören zu den besonderen Anziehungspunkten der Martinskirche.

Ein Schüler wandte ein, ob man nicht für diese 2,2 Mio Euro eine Menge Gutes in der Welt hätte tun können, wenn man sie für humanitäre Zwecke eingesetzt hätte? Dr. Temme freute sich über diesen Einwand, den er durchaus für berechtigt hielt. Aber er hatte zwei gute Argumente für die neue Orgel:

1. Auch Jesus wurde einst von Judas kritisiert, als Maria in Betanien Jesu Füße mit einer teuren Salbe bestrich. Judas sagte, man hätte die Salbe verkaufen und das Geld den Armen geben können. Jesus erwiderte darauf: Arme habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit. (Joh. 12, 8)

2. „Live big“ – Das Leben, das uns hier auf der Erde gegeben ist, sollten wir mit all seinen Möglichkeiten genießen! Vor allem Güter, die wir uns leisten können und die dazu dienen, Gemeinsamkeit zu zelebrieren, also sozialen Nutzen haben, sollten wir uns auch gönnen. Wir befinden uns nämlich in der komfortablen Lage, uns gar nicht entscheiden zu müssen: Wir können uns das Eine leisten, ohne das Andere zu unterlassen! (Die Orgel wird nicht auf Kosten humanitärer Aktionen finanziert!)

Dr. Temme hätte hier schon z.B. auf die Aktion der Martinskirche „Ein Tisch für alle“ hinweisen können – tat es aber erst später in einem anderen Zusammenhang: An drei Tagen wurde auf dem Martinsplatz eine festliche Tafel für alle gedeckt!

Der – nicht nur im Wortsinne – Höhepunkt unseres Besuches stand uns nun bevor: Wir durften gemeinsam den nördlichen Glockenturm besteigen! Ein kleines Abenteuer, weder für Klaustrophobiker noch für Höhenängstliche geeignet! So einige Schülerinnen und Schüler wechselten denn auch die Gesichtsfarbe, rissen sich jedoch tapfer zusammen. Der Lohn: Ein handgemachter Glockenschlag unterwegs und eine wunderbare Aussicht über ganz Kassel!

 

 

Schülerstimmen:

Pfarrer Temme war uns auf Anhieb sympathisch. Seine Führung war sehr interessant.

 

Ich fand die Martinskirche sehr schön und modern. Der Pfarrer war sehr nett. Ich fand es sehr gut, dass er nicht nur über Gott und die Religion geredet hat, sondern auch über den Umbau der Kirche.

 

Auch Bach spielte schon in der Kirche!

 

Der Pfarrer war cool.

Die Orgel ist zu teuer.

Die Kirche ist schön hell.

(…)

Es war schön.

 

Alles in allem war es ein gelungener Ausflug.

 

von Ute Rosenhahn-Ohlmeier