– Waltraud Mann besucht den PoWI-Leistungskurs der Q3 an der Herderschule –

„Ich bin 1936 geboren. Angst hatte ich nie.“ Das ist eine der vielen Botschaften, die Waltraud Mann, geboren 1936 in Kassel, den Schülerinnen und Schülern des Politik und Wirtschaft-Leistungskurses der Q3 an der Herderschule mit auf den Weg gab.
Der Kurs und sein Tutor Stefan Alsenz hatten Frau Mann eingeladen, um ins Gespräch zu kommen über die Sicht auf neun Jahrzehnte deutsche, europäische und internationale Entwicklungen.
Das Gespräch ging rasch in die Tiefe, was insbesondere an den Fragen der Leistungskurs-Mitglieder lag. „Sind unsere Zukunftsängste aus ihrer Sicht berechtigt, wenn Sie sie mit Ihren eigenen Lebenssituationen vergleichen?“ „Wir konnten Sie sich freimachen von der Ideologie des NS-Staates?“ „Wie sehen Sie die Regierungspolitik in Israel?“ „Fürchten Sie um unsere demokratie angesichts der extremistischen Positionen in Europa, die immer stärker auch in die Parlamente dringen?“ Dies ist nur eine Auswahl der Fragen, nachdem zwei Gruppen des Kurses zunächst ihre Einschätzung der europäischen Entwicklung in den nächsten zwanzig Jahren präsentiert und zur Diskussion gestellt hatten.
Frau Mann, noch heute äußerst begeisterte und aktive Botschafterin der Organisation „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, gab bereitwillig Antwort. Ihre Positionen entbehrten nicht der Entschiedenheit, waren aber zugleich ehrlich und authentisch.
Da reichte das Spektrum von den Erlebnissen im Kasseler Hauptbahnhof 1941, als sie als Fünfjährige Zeuge der Deportation der Juden wurde, über ihre Schulzeit bis hin zu ihren Begegnungen mit dem Kasseler Künstler Horst Hoheisel und dem israelischen Künstler Jehuda Bacon.
„Was ist für Sie der Sinn des Lebens?“, lautete zum Ende hin die Frage. Nach einer Weile der Stille meinte Frau Mann, es gelte Versöhnung anzustreben, auszugleichen und das Menschliche zu suchen. Aus ihrer Sicht gebe es nicht den Deutschen, den Russen, den Briten. Es gebe für sie nur den einzelnen Menschen. Und sie sei sich immer bewusst gewesen, dass ihr Leben in einer größeren Ordnung stehe. Ihr Glauben sei für sie Anker und Orientierung.
„Und man muss immer von Lebensphase zu Lebensphase schreiten und sich dabei immer wieder neu reflektieren und bestimmen.“ Und Frau Mann schloss die Stunde mit dem Appell: „Eines aber ist unverzichtbar: dass man Verantwortung für das eigene Handeln übernimmt.“

Text und Foto: Stefan Alsenz